Intuitives Essen: besseres Körpergefühl anstatt Verbote
Kohlenhydrate? Nein! Fette? So wenige wie möglich. Schokolade? Auf keinen Fall! Die meisten Ernährungstrends und Diäten leben von Verboten. Die Ernährungspsychologin Cornelia Fiechtl wirbt für einen neuen Ansatz: Intuitives Essen steht für Genuss ohne schlechtes Gewissen und mehr Freiheit auf dem Teller.
Was steckt hinter dem Begriff des intuitiven Essens?
Intuitives Essen bedeutet unter anderem, die eigenen Körpersignale zu lesen, also aufs natürliche Hunger- und Sättigungsgefühl zu achten. Während Diäten Verhaltensregeln und Verbote aufstellen, steht intuitives Essen für einen ungezwungenen und befreiten Umgang mit dem Thema Ernährung. Das ganzheitliche Konzept bezieht Körper und Psyche mit ein. Es geht darum, das zu essen, was einem schmeckt und guttut.
Warum sind Verbote Ihrer Meinung nach problematisch?
Je mehr Regeln wir aufstellen, desto weniger hören wir auf den eigenen Körper. Man kann sich das wie einen inneren Detektiv vorstellen, der ständig ermittelt, welche Lebensmittel wir essen und wie viele Kalorien wir zu uns nehmen dürfen. Verbote aber bewirken leider oft das Gegenteil, weil sie Symptome statt Ursachen bekämpfen. Wer jedes Mal einen Salat isst, obwohl er Lust auf Fleisch hat, provoziert Heißhungerattacken. So kommt es unter Umständen zum berüchtigten Jojo-Effekt und wir nehmen zu, obwohl wir abnehmen möchten.
Wie kann ich lernen, stärker auf meine Körpersignale zu hören?
Grundsätzlich ist intuitives Essen angeboren. Ein gutes Beispiel sind Babys: Wenn sie Hunger haben, schreien sie. Die Einteilung in gesunde oder ungesunde Lebensmittel und Ernährungsregeln bringen uns aber dazu, intuitives Essen im Laufe der Zeit zu verlernen.
Intuitives Essen kennt keine Verbote.
Zunächst einmal sollte man das eigene Essverhalten hinterfragen. Möchte ich jetzt essen, weil ich immer um diese Zeit esse, oder bin ich wirklich hungrig? Greife ich aus Frust zur Schokolade, oder weil ich Hunger auf Süßes habe? Es geht um den Unterschied zwischen Gewohnheiten und Bedürfnissen.
Und was ist, wenn ich ständig Lust auf Süßigkeiten oder Fast Food habe?
Hier spielt die Achtsamkeit eine wichtige Rolle. Wenn wir langsam und bewusst essen, stimulieren wir die Geschmacksknospen – und wollen gar nicht so viel davon essen. Wer versucht, eine komplette Tafel Schokolade zu lutschen, verliert nach einigen Stücken die Lust. Wer Schokolade aber schnell herunterschlingt, schafft die ganze Tafel – und nimmt zu. Wenn wir bewusst genießen, vermeiden wir solche Essanfälle.
Zwischendurch ein Schokoriegel oder Pizza sind also okay?
Natürlich. Intuitives Essen kennt keine Verbote. Wenn ich Lust auf Süßigkeiten habe, ist das kein Problem. Ein Problem ist es erst, wenn ich mich zur Belohnung jeden Feierabend damit vollstopfe. Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu hinterfragen.
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Kann intuitives Essen beim Abnehmen helfen oder ist eine Diät gefragt?
Das ist eine schwierige Frage, weil etwa 80 Prozent aller Diäten scheitern – das zeigen auch die aktuellen Leitlinien zur Behandlung von Diabetes und Adipositas. Weil jeder Zweite anschließend sogar dicker wird, können Diäten unter Umständen sogar gesundheitsschädigend sein.
Ernährung sollte etwas Schönes und Leichtes sein – und nicht mit Stress, Druck und negativen Gefühlen verbunden werden.
Ich halte es für erfolgversprechender, langfristig am eigenen Verhalten zu arbeiten und auf genügend Bewegung, mentale Gesundheit und nährstoffreiche Ernährung zu achten. Intuitives Essen verfolgt einen gewichtsneutralen Ansatz, weil das Gewicht nicht zwangsläufig etwas über die Gesundheit aussagt. Aus der Praxis aber wissen wir: Wer dank intuitiven Essens Stress im Alltag reduziert oder keine Essanfälle mehr hat, nimmt häufig ab.
Wie kann achtsames Essen im Alltag aussehen?
Eine gute und ruhige Atmosphäre ist entscheidend. Man sollte genügend Zeit einplanen, das Smartphone zur Seite legen und den Laptop zuklappen. Statt schnell in der Pause am Arbeitsplatz zu essen, sollte man den Ort wechseln und sich aufs Essen konzentrieren. So gelangt man Schritt für Schritt zu mehr Achtsamkeit.
Führt intuitives Essen automatisch zu einem gesunden Körpergefühl?
Ernährung sollte etwas Schönes und Leichtes sein – und nicht mit Stress, Druck und negativen Gefühlen verbunden werden. Intuitives und achtsames Essen schafft in jedem Fall einen entspannteren und positiveren Umgang mit dem eigenen Körper. Davon bin ich fest überzeugt!
Von Cornelia Fiechtl
Cornelia Fiechtl ist Ernährungspsychologin und lebt in Wien. Sie gilt als Spezialistin für emotionales Essverhalten und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit achtsamem und intuitivem Essen. Sie ist Autorin des Buches „Food Feelings – Wie Emotionen bestimmen, was wir essen“ und betreibt den Podcast „Food Feelings“.