Die Leistung steigt mit dem Spaß und dem Erfolg!
Runter von der Couch und rein in die Sportschuhe? Workouts im Wohnzimmer erfreuen sich gerade großer Beliebtheit. Aber was bringt mir das und worauf muss ich dabei achten? Diese und andere Fragen haben wir dem Physiotherapeuten Kolja Herrmann gestellt.
Wie effektiv sind die Trainingsangebote für zu Hause?
Grundsätzlich sind sie gut gemacht und für das Training in den eigenen vier Wänden geeignet. Bei der Auswahl sollte man aber auf jeden Fall ehrlich zu sich selbst sein und sich ein Angebot aussuchen, dass dem eigenen Leistungsstand entspricht. Viel hilft nämlich nicht automatisch viel.
Ist das die größte Fehlerquelle beim Training im eigenen Wohnzimmer?
Ja, eine unangemessene Übungsauswahl, die nicht zum Leistungsstand passt, ist einer der häufigsten Fehler. Man sollte langsam anfangen, wenn man ungeübt ist. Je mehr Erfahrung man hat, desto mehr kann man sich zumuten. Da die persönliche Kontrolle durch einen Trainer oder Physiotherapeuten fehlt, läuft man außerdem Gefahr Übungen nicht korrekt durchzuführen.
Leider hat man keinen privaten Trainer zu Hause. Wie kann man Fehler trotzdem vermeiden?
Da hilft nur Kontrolle, entweder durch den Partner, der mit im Haus lebt, oder man trainiert, wenn möglich, vor einem Spiegel. Wer vorher mit einem Therapeuten oder Trainer zusammengearbeitet hat, kann sich auch am Telefon beraten lassen. Auch in Corona-Zeiten bieten viele Kollegen aus der Physiotherapie, dem Personaltraining oder dem Fitnessbereich ihren Kunden an, sie per Livestream oder über telefonische Beratung zu informieren und zu trainieren. Da wurden in kurzer Zeit ganz viele tolle Ideen realisiert.
Woran muss ich denken, wenn ich mit dem Training beginne?
Je nach Leistungsstand sollten es Programme sein, die zu einem passen. Ein Rückenschmerzpatient sollte sich eher Videos mit therapeutischem Ansatz oder Anfänger-Yoga-Videos vornehmen, statt ungeübt "Hochintensive Functional Fitness" gegen seine Rückenschmerzen zu betreiben. Ein Sportler kann das natürlich gerne tun. Man sollte auch schauen, ob Equipment benötigt wird, das zu Hause oft nicht vorhanden ist. Aber auch da kann man mit Wasserflaschen oder Tetrapaks als Gewicht aushelfen und improvisieren.
Apropos Equipment: Wie sieht es in Sachen Schuhwerk aus? Brauche ich da unbedingt die besten Sportschuhe?
Es gibt eine ganze Reihe an Übungen, die ich sogar barfuß durchführen könnte und bei denen das durchaus Sinn macht. Nehmen wir zum Beispiel Kniebeugen. Trainiert man die ohne Schuhe, erreicht man eine höhere Anforderung an die Muskulatur und fordert die sogenannte propriorezeptive Rückkopplung mehr und kann die Übung dadurch noch effektiver gestalten. Das ist aber natürlich nur dann sinnvoll, wenn man nicht auf die Stabilität, die ein Sportschuh oder eine Einlage gibt, angewiesen ist. Dies könnte zum Beispiel der Fall bei einer Fußfehlstellung sein wie der des Knick-Senk-Fußes.
Welche Übungen oder Angebote eignen sich besonders?
Grundsätzlich Basisübungen wie Kniebeugen (Squats), Ausfallschritte oder Übungen, die man leicht auf dem Boden durchführen kann wie Crunches oder Sit-ups zur Kräftigung. Aber auch Laufen auf der Stelle oder eine höhere Geschwindigkeit bei der Bewegungsausführung kann zum Beispiel auch das Herz-Kreislaufsystem anregen und trainieren.
Muss ich mich eigentlich aufwärmen?
Von null auf hundert ist natürlich immer die falsche Strategie. Man sollte langsam mit Lockerungs- und Dehnübungen starten und sich dann im Trainingsverlauf steigern. Wer das Herz-Kreislaufsystem in Schwung bringen möchte, kann zum Beispiel vor dem Training einmal um den Block joggen oder walken. Alternativ, wenn man das Haus nicht verlassen möchte, kann man auch ein bisschen auf der Stelle laufen.
Wie oft sollte ich trainieren? Warum sollte ich mich jetzt auf keinen Fall gehen lassen?
Für Anfänger reichen häufig schon zweimal wöchentlich zwanzig bis 30 Minuten. Nach drei bis vier Wochen kann man ruhig auf drei Trainingseinheiten pro Woche übergehen. Auch hier wieder daran denken, dass das Training zum Leistungsstand passen muss. Je intensiver trainiert wird, desto wichtiger ist auch das Einbeziehen von Pausen. Das Training ist nur der Impuls. Der Aufbau erfolgt in der Ruhe und Erholungsphase. Trainiert man zu übereifrig geht das häufig in die Hose und man hält die Belastung nicht durch. Moderat steigern, sich jemanden suchen der einen mitzieht oder motiviert und die Ziele am Anfang nicht zu ehrgeizig setzen. Das ist der richtige Weg. Die Leistung steigt mit dem Spaß und dem Erfolg!
Also hat das Training zu Hause auch einen positiven Aspekt?
Das Schöne ist tatsächlich, dass man gerade auch mal Dinge ausprobieren kann, an die man sich bisher vielleicht nicht herangetraut hat, weil man sich im Studio ja doch immer irgendwie beobachtet fühlt, auch wenn das natürlich ein rein subjektives Empfinden ist. Zu Hause kann man es dann in Ruhe probieren und erweitert so seinen Horizont.
Und was, wenn ich am Tag nach dem Training mit einem tierischen Muskelkater aufwache? Habe ich dann etwas falsch gemacht oder ist das sogar ein gutes Zeichen?
Es ist grundsätzlich erst einmal so, dass ein Muskelkater nichts Schlimmes ist. Das ist eine Reaktion auf einen Reiz beziehungsweise auf die Intensität des Reizes. Natürlich sollte man den Reiz so wählen, dass er dem Fitnesslevel entspricht. Wenn man danach vier Tage lang Muskelkater hat, dann war es zu viel. Ein leichter Muskelkater am nächsten oder meist auch erst am zweiten Tag ist, vor allem wenn ich nicht so trainiert bin, sogar zu erwarten. Das gehört aber auch dazu.