Narzissmus: Was steckt hinter der Persönlichkeitsstörung?
Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeit stellen sich gerne in den Mittelpunkt. Was aber, wenn ihre Selbstverliebtheit überhandnimmt? Narzissmus kann für die Betroffenen und Partner belastend sein.
Lena ist seit acht Monaten mit Thomas zusammen. Damals hatte es sofort gefunkt: Er sprühte vor Selbstvertrauen und begeisterte sie mit charismatischem Auftreten. Mittlerweile ist aus Liebe eine Herausforderung geworden. Thomas ist dramatisch, stellt seine Bedürfnisse über ihre und verlangt von Lena, ihn und seine Erfolge zu bewundern. „Narzissten verhalten sich höchst egozentrisch, sind auf Anerkennung angewiesen und möchten stets die Kontrolle bewahren“, erklärt Psychotherapeutin Dr. Bärbel Wardetzki. Narzissmus ist daher immer eine Folge seelischer Verletzungen.
Was ist Narzissmus/eine narzisstische Persönlichkeitsstörung?
Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Narzissmus bzw. eine narzisstische Persönlichkeitsstörung betrifft aber immer das eigene Selbstwertsystem und die Identität: Früh haben die Betroffenen gelernt, nur dann gut zu sein, wenn sie Erwartungen anderer erfüllen. So gerät ihr eigentliches „Ich“ immer mehr in Vergessenheit – der Drang nach Anerkennung aber steigt. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist durch Grandiosität und Mangel an Empathie anderen Menschen gegenüber gekennzeichnet. „Doch dahinter steckt ein verletztes Selbstwertgefühl“, so Wardetzki.
Was sind die Ursachen von Narzissmus?
Oft ist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf Kindheitserfahrungen zurückzuführen. Narzisstische Menschen wie Thomas haben als Kind häufig bei ihren Bezugspersonen erlebt: Nur wenn ich mich anpasse und Erwartungen erfülle, erhalte ich positive Zuwendung.
„Um ihr eigenes Selbstwertgefühl zu erhalten, entfremden sich Narzissten von ihrem eigentlichen Wesen und müssen immer besonders sein, weil sie glauben, in dieser Welt sonst nicht auszureichen“, sagt Dr. Bärbel Wardetzki.
Ist Narzissmus vererbbar?
Ob es einen genetischen Zusammenhang – beispielsweise zu einem narzisstischen Vater – gibt, ist bei dieser Art von psychischen Erkrankungen bisher nicht erforscht. Zum Teil ist Narzissmus genetisch determiniert, wird aber auch sozial vererbt, wenn man beispielsweise in einer narzisstisch geprägten Familie aufwächst.
Hinter der narzisstischen Persönlichkeitsstörung steckt ein verletztes Selbstwertgefühl.
Was ist der Unterschied zwischen Selbstbewusstsein und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung?
„Nicht jeder, der sich selbst liebt und ein gesundes Selbstbewusstsein hat, sollte sofort als Narzisst abgestempelt werden.“ Laut Dr. Wardetzki gehe man davon aus, dass alle Menschen narzisstische Anhaftungen besitzen – diese aber unterschiedlich ausgeprägt sind.
Ist Narzissmus eine Krankheit?
Beim sogenannten „positiven Narzissmus“ ist das Selbstwertgefühl stabil und befindet sich im Gleichgewicht. Beim „narzisstischen Persönlichkeitsstil“ stehen Eigenschaften wie Selbstbezogenheit, Überheblichkeit und geringes Einfühlungsvermögen im Vordergrund. „Übersteigen diese Eigenschaften ein bestimmtes Maß, spricht man von einer krankhaften narzisstischen Persönlichkeitsstörung“, so die Psychotherapeutin.
Wie häufig tritt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf?
Vom gesunden Narzissmus über den narzisstischen Persönlichkeitsstil bis hin zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist letzteres nur bei drei bis fünf Prozent der Fall.
Welche Arten von Narzissmus gibt es?
Es gibt unterschiedliche Formen vom krankhaften Narzissmus bzw. pathologischen Narzissmus:
Offener (exhibitionistischer) Narzissmus
Diese Form der narzisstischen Persönlichkeitsstörung stellt seine Großartigkeit öffentlich in den Mittelpunkt. Er tritt überaus selbstbewusst auf, wirkt dabei arrogant und kühl.
Grandios-Maligner Narzissmus
DieBetroffenen dieser narzisstischen Persönlichkeitsstörung halten sich für übermächtig und zu großen Taten berufen. Fühlen sie sich nicht genug anerkannt, reagieren sie häufig wütend und aggressiv.
Verdeckter (vulnerabel-fragiler) Narzissmus
Menschen mit dieser narzisstischen Persönlichkeitsstörung nehmen Kritik und Misserfolge sehr persönlich, reagieren ängstlich und selbstkritisch. Dennoch sind sie durch ihre psychische Erkrankung oft sehr auf sich fixiert.
Wer ist am häufigsten von Narzissmus betroffen?
Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung kann bei Männern und Frauen auftreten. Die meisten Patienten mit einer diagnostizierten narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind männlich.
Wie unterscheidet sich Narzissmus bei Männern und Frauen?
Narzisstische Strukturen werden bei Frauen häufig nicht erkannt, da sich die narzisstische Persönlichkeitsstörung meistens anders als bei Männern äußert. Während der „männliche Narzissmus“ von Grandiosität, Machtstreben, Manipulation und fehlender Empathie geprägt ist, zeigt ein „weiblicher Narzissmus“ – auch als verdeckter Narzissmus bezeichnet – andere Symptome auf.
Zwar haben die Betroffenen bei dieser Störung Tendenzen zur Selbstüberhöhung, aber ihre Minderwertigkeitsgefühle sind emotional intensiver ausgeprägt. Überanpassung, Unterwerfung und eine hohe Anspruchshaltung an sich selbst definieren diese Form von narzisstischer Persönlichkeitsstörung.
Wie verhält sich ein Narzisst?
Auch Thomas leidet unter krankhaftem Narzissmus und ist permanent auf der Suche nach Bestätigung. Seine Fassade trägt die Überschrift: Ich bin der Held! „Solche Menschen lassen Zweifel nicht mehr an sich heran und gehören zu den sogenannten grandiosen Narzissten“, sagt Dr. Bärbel Wardetzki.
Die vulnerablen Typen, die vor allem bei Frauen zu beobachten sind, geben sich nach außen ebenso stark und fehlerfrei. Doch die dahinterstehende, tiefe Selbstunsicherheit wird viel stärker wahrgenommen als von den grandiosen Narzissten. „Bereits leichte Kritik kann vulnerable Narzissten in tiefe Krisen stürzen, weil sie ständig im Spannungsbereich zwischen einer toughen Persönlichkeit und dem Gefühl, wertlos zu sein, hin- und herpendeln“.
Wissen Narzissten, dass sie Narzissten sind? Sind sich Narzissten ihrer Störung bewusst?
In der Regel ist ihnen nicht bewusst, dass sie unter ihrem Narzissmus leiden. Sie leiden jedoch unter dessen Folgen, die sich in Beziehungsproblemen, Arbeitssucht, Essstörungen oder anderen Symptomen äußern. Oftmals leidet das Umfeld mehr als sie selbst.
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Wie erkenne ich narzisstische Züge? Wie erkennt man, ob jemand Narzisst ist?
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung kann nur von einem Psychologen diagnostiziert werden. Allerdings gibt es ein paar Charakteristika im Verhalten, die sich in einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung erkennen lassen. Zu den Symptomen zählt unter anderem eine hohe Egozentrizität. Menschen machen sich zum Zentrum, nur das eigene „Ich“ zählt. Sie haben das Bedürfnis, die Kontrolle zu bewahren und Applaus zu bekommen. Für ihr Umfeld empfinden sie nur wenig Empathie – ein weiteres Indiz für narzisstische Verhaltensweisen.
Niemand sollte sich gezwungen sehen, derartige Situationen auszuhalten.
Wie gehe ich mit einem Narzissten um?
Narzissten haben große Schwierigkeiten damit, gute Beziehungen zu führen, Liebe zu geben. Sie haben Angst vor Nähe, können sich kaum binden. Narzisstische Beziehungen sind daher häufig ausbeuterisch und wenig erfüllend. Wie aber sollte Lena mit ihrer toxischen Beziehung umgehen?
„Niemand sollte sich gezwungen sehen, derartige Situationen auszuhalten“, sagt Wardetzki. Grandiose Narzissten neigen dazu, andere Personen zu entwerten oder zu manipulieren (z.B. in Form von "Gaslighting") – oder aber Personen extrem aufzuwerten.
„Der Partner sitzt dann in der Falle, den Narzissten ständig glücklich machen zu müssen, damit die Stimmung und Beziehung nicht darunter leiden.“ Lena sollte sich deshalb ernsthaft hinterfragen, ob sie die Kraft hat, mit der Situation und ihrer emotionalen Abhängigkeit umgehen und die Beziehung glücklich erhalten zu können.
Ist Narzissmus heilbar? Kann die narzisstische Persönlichkeitsstörung behandelt werden?
„Narzissten werden oft als Ekelpakete wahrgenommen, aber sie tun es nicht aus Böswilligkeit – tatsächlich steckt hinter ihrem Verhalten tiefe Not“, erklärt Dr. Bärbel Wardetzki. Die Betroffenen kommen meistens in Therapie, wenn sie zum Beispiel ihren Job verlieren, ihr Partner sie verlassen hat – sie also in großer Not sind.
„Ziel ist es, die tiefgreifende Not des Menschen erkennen und ein Verständnis dafür zu entwickeln“, erklärt die Expertin. Der Narzisst müsse seine eigentliche Identität wiederentdecken – und lernen, sich selbst besser zu reflektieren. „Narzissten werden sich nie gänzlich in ihrem Verhalten verändern, aber sie können sich ihrer Wirkung bewusst werden.“
Kann man mit einem Narzissten eine Beziehung führen?
Es ist schwierig, aber nicht jede Beziehung mit einem narzisstischen Partner ist zum Scheitern verurteilt. Eine therapeutische Behandlung kann helfen, Probleme der narzisstischen Person aufzudecken. Wichtig aber ist, dass beide ihre Bereitschaft zeigen, an der Beziehung arbeiten zu wollen.
Lena und Thomas haben beschlossen, eine Therapie zu beginnen. Beide möchten an ihrer Beziehung festhalten. Thomas weiß jetzt, dass er an sich und seiner narzisstischen Persönlichkeitsstörung arbeiten muss. Lena möchte helfen – doch gefallen lässt sie sich nicht mehr alles. Die Beziehung mit einem Narzissten in den Griff zu kriegen, ist und bleibt für beide eine Herausforderung.