Single in der Corona-Krise
Alexandra lebt alleine. An ihrem Beziehungsstatus liebt sie die Freiheit und Unverbindlichkeit. Es fehlt ihr an nichts, sagt die Ostwestfälin. Dann kam das Corona-Virus. Und ihr Single-Dasein wurde und wird in Zeiten von Kontaktverbot und Abstandsregeln doch zu einer Herausforderung.
Die vergangenen Wochen waren für Alexandra (Name geändert) keine einfache Zeit. Alexandra ist Anfang 40, lebt im Kreis Gütersloh und ist Single. Gerne, wie sie betont. Vor allem liebe sie die Freiheiten, die dieser Beziehungsstatus ihr schenkt. Dazu gehört, „dass ich Entscheidungen alleine treffen und mein Leben frei gestalten kann“, sagt sie, „und auf niemanden Rücksicht nehmen muss.“ Ein Leben voller Leichtigkeit und Unverbindlichkeit, in dem sie tun kann, was sie will, in dem sie treffen kann, wen sie will. Nur nicht in Zeiten von Corona und Social Distancing. Plötzlich war das mit dem Ich-verabrede-mich-noch-schnell-auf-ein-Feierabendbier so eine Sache. Auch gegenseitige Besuche waren unmöglich. Und neue Menschen kennenlernen oder sogar mit einem Date flirten? Daran war erst gar nicht zu denken.
Einsamkeit kann der Psyche dauerhaft schaden
Corona hat die Pausetaste gedrückt. Und machen wir uns nichts vor: Auch wenn wir langsam, Schritt für Schritt, zurück in Richtung Normalität gehen, werden uns Abstandsregeln und Hygienevorschriften noch eine ganze Weile begleiten. Kein Problem für Paare und Familien, die miteinander auch in den eigenen vier Wänden genug Beschäftigung und Ablenkung finden. Doch Alexandra ist oft allein.
Dass Quarantäne spürbare Folgen nach sich ziehen kann, ist längst wissenschaftlich bewiesen. Verschiedene Wissenschaftler des Department of Psychological Medicine des King's College in London haben aktuell 24 Studien zu dem Thema ausgewertet. Das Ergebnis: Isolation sorgt bei vielen Menschen für viel Langeweile, Stress, Nervosität und Unsicherheit. Sogar von Verhaltensänderungen ist die Rede, die Monate oder gar Jahre später noch spürbar waren. So vermieden viele der Betroffenen auch später noch den direkten Kontakt mit anderen Menschen mit Krankheitssymptomen oder Menschenmassen im Allgemeinen und wuschen sich noch monatelang deutlich bewusster die Hände.
Kontakt zu anderen ist notwendig
Und wer in dieser Zeit viel alleine zu Hause ist, ist stärker gefährdet. Studien zeigen, dass Einsamkeit die Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen kann. Wichtig ist deshalb, weiterhin den Kontakt zu Mitmenschen zu halten. Alexandra bleibt zumindest digital mit ihrer Familie, Freunden und Kollegen verbunden. Und ja, WhatsApp-Nachrichten, Telefonate und Videoschalten haben etwas geholfen, nicht zu vereinsamen, sagt sie. Trotzdem fehlten ihr besonders die sonst selbstverständlichen und täglichen sozialen Kontakte von Angesicht zu Angesicht und die kleinen Gesten: „Menschen richtig in die Augen sehen zu können und auch mal die ein oder andere Umarmung, zum Beispiel von Freunden.“ Doch Social Distancing geht eben auch mit Physical Distancing einher, körperliche Kontakte waren und sind einfach nicht ratsam. Und einen Ersatz dafür gibt es nicht. „Es geht nichts über das persönliche Treffen“, sagt Alexandra.
Gut jeder Dritte litt in den vergangenen Wochen unter Einsamkeit (37 Prozent), zeigte eine Umfrage der Online-Partnervermittlung Parship unter mehr als 4.100 Partnersuchenden in Deutschland. Wenn Ängste, Druck und Sorgen zu groß werden, ist die Telefonseelsorge rund um die Uhr und kostenlos per Telefon unter 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 oder per Mail und Chat da.
Tipps für die Psyche
Alexandra antwortet auf die Frage, ob sie sich einsam fühlt mit einem klaren Nein. Muss dann aber einräumen, dass es gerade in diesen Corona-Zeiten manchmal Momente gibt, in denen sie sich etwas einsamer fühlt als sonst.
Manchmal vermisse ich jemanden, mit dem man abends über den Tag sprechen und Pläne schmieden kann. Oder mit dem man sich etwas teilen kann.
Ein einsamer Moment könne auch der Samstagabend sein, wenn sie plötzlich nichts vorhat, wenn der Stress der Woche aufhört und sich ein Raum für die „Leere danach“ auftut.
Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz erforscht die psychischen Auswirkungen der Corona-Krise und hat eine Online-Befragung zu den psychischen Reaktionen zur Bewältigung der Krise durchgeführt. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass bereits 37 Prozent der Befragten sich um ihre seelische Gesundheit sorgen. Die Wissenschaftler haben Tipps zusammengestellt, die Betroffenen helfen sollen, sich psychisch besser zu fühlen:
- Gehen Sie bewusst mit Informationen um
- Behalten Sie Ihre Routinen bei oder entwickeln Sie neue
- Halten Sie soziale Kontakte aufrecht
- Akzeptieren Sie die Komplexität der Situation
- Sorgen Sie für sich
- Übernehmen Sie Verantwortung
- Bauen Sie regelmäßig Stress ab
Tipps, die Alexandra auch beherzigt. Sie informiert sich zwar regelmäßig, aber nicht zu oft über verlässliche Quellen über das Corona-Virus. Zudem folgt sie auch im Home-Office einem festen Tagesablauf, der ihr Halt gibt. Und sie achtet darauf, dass sie genügend schläft, sich gesund ernährt und sich ausreichend bewegt. „Es war und ist eine Wohltat für die Seele, wenigstens eine Person – oder jetzt zwei – auch mal persönlich auf Abstand treffen und draußen frische Luft schnappen zu dürfen.“
Zeit für sich nehmen
Alles in allem glaubt die Ostwestfälin, dass Einsamkeit kein reines Single-Problem ist.
Ich kann mich auch an einsame Momente in einer Beziehung erinnern – und die fand ich persönlich sehr viel bitterer und beklemmender.
Doch die Corona-Situation verstärke bei ihr durchaus den Wunsch, einen für sich passenden Partner zu finden. „Denn es ist schon so, dass einem jetzt die eigene Lebensführung und Prioritätensetzung auf die Füße fällt bzw. einfach sehr bewusst wird.“
Deshalb sei für sie jetzt die richtige Zeit, in sich reinzuhören und sich zu fragen, ob sie vielleicht doch wieder bereit für eine Beziehung ist. Erst wenn sie Antworten auf die großen Fragen des Lebens hat, will sie sich wieder auf die Suche machen. Und kann sich dann durchaus auch kontaktloses Online-Dating vorstellen. Oder ein Date auf Abstand – „das ist doch irre spannend“. Der Mensch bleibe schließlich auch anderthalb Meter von einem entfernt derselbe. „Und fürs Erste fallen dann auch womöglich krampfige Momente wie unbeholfene Umarmungen zur Begrüßung oder Küsschen links und rechts zum Abschied aus“, sagt sie und lacht.