Spazierengehen in der Corona-Krise
In Zeiten von Corona und Home-Office entdecken immer mehr Menschen das Spazierengehen für sich. Neben Abwechslung und frischer Luft bietet es sogar gewisse Trainingseffekte. Vorausgesetzt, man beachtet ein paar Dinge.
Keine Autos, kein öffentlicher Nahverkehr, keine Bahn: Früher waren wir Menschen fast immer gezwungen, unsere Wege zu Fuß zu gehen. Heutzutage sind wir weiter davon entfernt als je zuvor. Für die kürzesten Strecken setzen wir uns ins Auto, springen wir in den Bus oder nehmen das Rad – und verkümmern praktisch im Sitzen. Eigentlich. Denn in Zeiten von Corona, Kontaktverbot und Home-Office erlebt das Spazierengehen eine wahre Renaissance.
Viele Menschen nutzen den Gang, um zumindest kurz den eigenen vier Wänden zu entfliehen. Das Spazierengehen hat aber einen weiteren entscheidenden Vorteil: Es ist mit Abstand die einfachste, preiswerteste und flexibelste Methode, um uns durch Bewegung und ohne spezielle Ausrüstung fit zu halten. Einfach nur Schuhe an – und los geht’s! Aber Vorsicht: Wer seinem Körper dabei wirklich etwas Gutes tun möchte, muss ein paar Dinge beachten, wie Henning Dreier verrät.
Entscheidend sind die Dauer, das Tempo und die Strecke
Er ist Physiotherapeut und hat eine eigene Praxis in Rödinghausen im Kreis Herford. Er sagt: „Wenn ich einen Trainingseffekt erzielen oder einen sinnvollen Ausgleich zum langen Sitzen im Home-Office schaffen will, kommt es darauf an, wie ich den Spaziergang gestalte.“ Dabei spielen zum einen die Dauer eine Rolle, aber auch das Tempo und die Art der Strecke. Kurz gesagt: Bewegung ist das Ziel – und nicht die Eisdiele um die Ecke. „Wichtig ist, dass wir unserem Körper einen Reiz setzen und ihn dadurch fordern“, so Dreier.
Ich sage immer: Der Körper ist die undankbarste Maschine, die ich kenne. Wenn wir diese Maschine nicht fordern, stellt sie gewisse Arbeiten ein.
Wer rastet, der rostet eben. Das Sprichwort kennen wir alle. Konkret schadet andauerndes Sitzen und mangelnde Bewegung wie jetzt im Home-Office vor allem der Wirbelsäule, aber auch unsere Muskulatur, Sehnen und Gelenke werden vernachlässigt. Die Folge sind oft Rücken- und Nackenschmerzen, verkürzte Sehnen und steife Muskeln. Regelmäßiges Gehen stärkt aber viele Bereiche unseres Bewegungsapparates, unser Immunsystem, verbessert die Blutzirkulation trainiert das Herz, schüttet Glückshormone aus und lindert Stress und Müdigkeit.
Gutes ganzheitliches Training
„Das Gehen beansprucht alle Muskeln“, sagt Dreier. Von den Beinen aufwärts zur Rumpfmuskulatur bis hin zur Arm- und Nackenmuskulatur. „Schnelles Spazierengehen oder Walken ist also ein richtig gutes, ganzheitliches Training, wenn man es richtig macht.“ Auch weil man die Stoßbelastung in den Gelenken, die man beim Joggen habe, vermeide.
Doch wie geht es sich denn nun richtig, um fit zu bleiben? „Je länger und je schneller, desto besser ist es“, antwortet Dreier. Denn damit wir unserem Herz-Kreislauf-System etwas Gutes tun, müssen wir es über einen längeren Zeitraum belasten.
Wenn ich einfach einmal langsam um den Pudding gehe und mich beim Ankommen genauso fühle wie zu dem Zeitpunkt, als ich losgegangen bin, bringt es nichts, außer dass ich mich an der frischen Luft bewegt habe.
Nicht nur die Ausdauer, auch die Muskeln werden trainiert
Für den Anfang reiche es vollkommen aus, 30 bis 60 Minuten lang konstant in einem strammen Tempo zu gehen. „Es muss natürlich leistbar sein“, betont Dreier. „Jeder muss für sich rausfinden, welche Belastung und Geschwindigkeit er gut meistern kann.“ Wer schnell außer Atem ist, startet einfach erst einmal mit kürzeren Einheiten in konstant-schnellem Tempo und verlängert diese nach und nach, wenn es die Ausdauer hergibt.
Schnelles Gehen ist ein reines Ausdauertraining.
Aber auch die Muskeln werden gefordert. „Erhöhe ich die Geschwindigkeit und damit auch die Belastung, erhöhe ich auch die Muskelaktivität.“ Je schneller wir gehen, desto mehr bewegen wir unsere Beine und Arme. „Dadurch haben wir mehr Rotation im Oberkörper und noch mehr Bewegung in Brust-, Rücken- und Nackenmuskulatur.“
Bewusste Streckenauswahl statt zusätzlicher Übungen
Klappt das mit dem schnellen Tempo schon ganz gut, kann man zusätzlich bewusste Geschwindigkeitswechsel einbauen. Oder über die Auswahl der richtigen Spaziergang-Strecke einen gewissen Trainingseffekt erzielen. „Entscheidend ist schon, ob ich für meine Runde die asphaltierte Straße wähle, den unebenen Waldpfad oder den langsam ansteigenden Feldweg“, erklärt Dreier. Auf der Straße gehen wir bequem auf einem festen und ebenen Untergrund. Ein Waldweg mit Wurzeln und anderen Unebenheiten allerdings fordert unsere Konzentration, den Gleichgewichtssinn und unsere Muskeln ganz anders. Auch ein Anstieg mit Furchen und Rinnen im Feldweg ist körperlich anstrengender und „bietet deutliche Belastungsparameter“, so Dreier.
Deshalb sind seiner Meinung nach auch gar keine weiteren ergänzenden Körperübungen während des Spaziergangs notwendig, sondern es reiche aus, die Belastung durch die richtige Streckenauswahl zu erhöhen.
Natürlich muss dabei immer ausreichend Abstand zu anderen Menschen eingehalten werden.
Und wenn sich jemand das temporeiche Spazier-Training noch nicht zutraut? „Alles ist besser als nichts“, antwortet der Physiotherapeut. „Auch 20 Minuten entspanntes Spazierengehen an der frischen Luft sind besser, als 20 Minuten auf dem Sofa zu sitzen.“