Wie sich das Gehirn in der Pubertät verändert und was Eltern tun können
Was im Kopf eines Teenagers passiert, warum Stimmungsschwankungen und Extreme in der Pubertät ganz normal sind – und wie Eltern damit umgehen können.
Morgens am Frühstückstisch. Leon, 15-jähriger Teenager, trottet die Treppenstufen hinunter. Seine Eltern lächeln ihm zu. Doch ein „Guten Morgen“ bekommt er nicht über die Lippen. Seine Augen sind aufs Smartphone gerichtet, seine ersten Bartstoppeln berühren das Display schon fast. Er steckt mitten in der Pubertät – und hat gerade alles im Kopf, aber nicht seine Eltern. Doch das entpuppt sich für diese schnell als leidige Geduldsprobe. Denn Leon verändert sich nicht nur körperlich, auch sein Gehirn sortiert sich neu.
Launisch? Wir alle haben mal einen schlechten Tag. Oder sind besonders glücklich. Bei Kindern in der Pubertät aber schwankt das Stimmungsbarometer hin und her. Pubertierende rebellieren, sie testen ihre Grenzen aus, entdecken Neues und hinterfragen Altes. Die Eltern sagen: Um 22 Uhr ist Bettruhe? Von wegen! Die erste Zigarette auf der Party? Ausprobieren! Das Mädchen aus der Nachbarklasse? Schmetterlinge im Bauch. Die Pubertät ist für Kinder eine wilde Zeit.
Das Gehirn von Pubertierenden gleicht einer Großbaustelle
Vor einigen Jahren vermuteten Wissenschaftlern noch, Kinder verfügten bereits im frühen Alter über ein vollständig entwickeltes Gehirn. Diese Annahme gilt heute längst als überholt. Im Kindes- und Pubertierenden-Alter gleicht unser Gehirn vielmehr einer Großbaustelle, in der sich viele Bausteine neu zusammensetzen oder überhaupt erst entwickeln.
US-Wissenschaftler der Washington University haben herausgefunden, dass von Kindheit an bis hinein in die Pubertät bis zu 120 Milliarden Nervenzellen verdrahtet werden – und wie sich diese verknüpfen, das hängt maßgeblich vom Erfahrungs- und Informationsschatz des Kindes ab.
Die kindliche Neugier und das Ausloten von Grenzen im Jugendalter wird Neurologen zufolge hauptsächlich durch den Wissenstrieb im Gehirn gesteuert. Es wird aktiver, leistungsfähiger und effizienter. Aber alles auf einmal stemmen, das kann es nicht. Und so geraten manche Teile des Gehirns ins Hintertreffen, während sich andere in den Vordergrund drängeln. Eine Reizüberflutung, mit der Teenager wie Leon erst einmal überfordert sind.
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Wenn die Hormone ins Spiel kommen
Der Hypothalamus, ein wichtiger Teil unseres Zwischenhirns, erwacht in der Pubertät zu neuem Leben: Über ihn werden sogenannte Gonadotropine freigesetzt: Hormone, welche die Produktion von Sexualhormonen im Körper anregen. Neben körperlichen Veränderungen wie wachsenden Brüsten oder Intimbehaarung dreht sich mit einmal auch im Kopf alles um Sexualität, Liebe und das Geschlecht. Das führt in der Folge häufig zu Unsicherheiten und Verletzlichkeit, denn junge Menschen fangen an, sich mit anderen zu vergleichen, Gefühle für jemanden zu entwickeln – und Signale von Mitmenschen bewusster wahrzunehmen.
Die Hausaufgaben für den nächsten Schultag oder die Bitte der Eltern, doch bitte endlich das Zimmer aufzuräumen, geraten dadurch gerne mal in Vergessenheit. Das überrascht nicht, denn während die Amygdala, der Teil des Gehirns für Emotionen und Gefühle, in der Pubertät schon vollständig entwickelt ist, steckt der präfrontale Kortex, verantwortlich für rationale Entscheidungen, Planung und Impulskontrolle, noch mitten in der Findungsphase.
Das Teenagerhirn ist anfällig für psychische Krankheiten
Dieses Ungleichgewicht im Gehirn freut besonders die Botenstoffe, die unser Gemüt beeinflussen. Dopamin, auch Glückshormon genannt, wird in der Pubertät zum Beispiel vermehrt und häufig unkontrolliert ausgeschüttet – ohne, dass das Gehirn im Ausnahmezustand regulierend und stark darauf einwirken kann. Neue und gute Erfahrungen, Entdeckungen und Ausbrüche aus der Normalität stärken den Ausschuss von Dopamin.
Drogen wie Alkohol und Rauchen erweisen sich für Teenager besonders reizvoll, da sie das Belohnungssystem von Dopamin aktivieren – genau deshalb ist das Alter von 12 bis 18 Jahren laut Wissenschaftlern aber auch so gefährlich. Denn viele psychische Krankheiten wie Sucht, Depressionen, Essstörungen oder Angsterkrankungen bahnen sich häufig während der Umbauphase des Gehirns im Jugendalter an.
Ein Bereich im Gehirn, der sich bei Jugendlichen großen Umstrukturierungen unterzieht, ist das Frontalhirn. Es liegt direkt hinter der Stirn und ist Bestandteil des erwähnten präfrontalen Kortex. Seine Aufgaben liegen in der Vernunft, Moral und Ethik sowie dem logischen Denken. Problem ist nur: Während der Wachstumsphase des Gehirns liegt dieser Bereich ganz am Ende der Wachstumskette. Junge Menschen wie Leon sind sich der Konsequenzen ihres Handelns daher oft nicht bewusst, denken gar nicht erst darüber nach – oder es fehlt ihnen schlichtweg die Erfahrung.
Wie können Eltern ihre pubertierende Kinder unterstützen?
Die Pubertät ist für Jugendliche eine schwierige Zeit. Eltern können dabei helfen, ihren Kindern authentisch und selbstbewusst den Weg zu weisen – und sie bei ihren Erfahrungen und Veränderungen unterstützen. Eine kanadische Studie hat ergeben, dass sich mehr als 70 Prozent aller Pubertierenden Eltern mit Vorbildcharakter wünschen (auch wenn sie es vielleicht nicht offen zugeben). Wie Eltern das gelingt?
- Aufklärung betreiben:
Früher oder später landet das Thema Sexualität zwischen Eltern und Kind auf dem Tisch. Mit dem Kind offen darüber zu reden, verringert die Wahrscheinlichkeit, dass sich emotionale Blockaden bilden. Im Gegenteil: Regelmäßig die Gefühle des Pubertierenden zu erörtern, kann beiden Parteien helfen, einander besser zu verstehen. - Feste Regeln einhalten:
Bei der Aufforderung, am Wochenende den Rasen zu mähen oder das Wohnzimmer zu saugen, stoßen Eltern häufig auf Widerstand. Trotzdem: Klare Anweisungen und geregelte Anforderungen an das Kind helfen ihm dabei, sich in der Welt Verpflichtungen zu stellen, geregelte Abläufe einzuhalten und damit entgegen seiner Gefühlswelt Verantwortung zu übernehmen. Zu den Regeln gehört aber auch, dem Kind Freiheiten zu lassen – wie etwa eine gesicherte Privatsphäre. - Streit lösen:
Bei Widerständen und launischem Verhalten des Kindes bleiben Streitereien nicht aus. Wichtig ist es, als autoritärer Elternteil die Oberhand zu behalten, ohne dabei handgreiflich zu werden. Am meisten lernt das Kind, wenn stattdessen gemeinsam eine Lösung gefunden und der Streit nicht langfristig fortgeführt wird. - Vergesslichkeit akzeptieren:
Wenn das Kind auf dem Weg in die Küche schon wieder vergessen hat, dass es eigentlich den Müll rausbringen soll, ist das nicht immer böser Wille: Während der Pubertät fällt einiges aus dem gedanklichen Raster. Wichtig ist es, von Elternseite keinen zusätzlichen Druck oder Stress aufzubauen – sondern gemeinsam Konzepte, wie zum Beispiel Wochenpläne, zu entwickeln.
Kind, werd endlich erwachsen!
All diese Prozesse und Neusortierungen im Gehirn passieren nicht von heute auf morgen. Die Pubertät verläuft eher schleichend und kann bis zu sechs Jahre dauern. Erst dann erhebt sich aus der Großbaustelle Gehirn ein vollständig entwickeltes Organ.
Dafür sorgt außerdem eine groß angelegte und radikale Aufräumaktion: Was junge Menschen im Kindheits- und Pubertätsalter lernen, was sie erfahren und aufnehmen, wird im Gehirn gespeichert. Was sich an Nervenbahnen verknüpft hat, bleibt bestehen – andere, nicht verwendete Stränge werden gekappt und gehen verloren. Nach turbulenten und wilden Jahren der Reizüberflutung und Stimmungsschwankungen befreit sich das Gehirn im Laufe der Pubertät von Altlasten, um so sprichwörtlich den Kopf freizubekommen.
Sind die die Nervenbahnen erst einmal verdrahtet und das Frontalhirn entwickelt, wächst aus der pubertären Phase ein erwachsener Mensch: Verstand und Impuls- sowie Emotionskontrollen haben sich im wahrsten Sinne gefestigt. Das Gehirn ist geordnet und um die gespeicherten Nervenstränge legt sich eine isolierende Hülle, die die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns um ein Vielfaches erhöht. Mehrere Studien belegen, dass der Mensch die größtmögliche und schnellste Denkgeschwindigkeit nach der Pubertät im Alter von etwa 20 Jahren besitzt.
Bis dahin dauert es für Leon noch etwas. Mittlerweile respektiert er seine Eltern wieder mehr. Ein „Guten Morgen“ am Frühstückstisch gehört eben zum guten Ton. Seine Stimmungsschwankungen, Risikobereitschaft und sein impulsives Verhalten - dafür kann er nichts. Seine Eltern aber unterstützen ihn so gut es geht, um im Gefühlschaos etwas klarer zu sehen und um die Großbaustelle in seinem Kopf gemeinsam zu meistern.